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Martina Stecher

Doctor, we have a gender problem!

Was der Gender Data Gap mit der Gesundheit von Frauen zu tun hat


Das Geschlecht. Ein sehr viel diskutierter Begriff, vor allem wenn es darum geht, dass unsere Gesellschaft nur binär, also ausschließlich anhand der Existenz von zwei Geschlechtern, von Frau und Mann, gesehen wird. In der Gendermedizin geht es jedoch primär darum, auf Grundlage des biologischen Geschlechts Unterschiede hervorzuheben, die maßgeblich Auswirkungen auf die Gesundheit haben. Daher wird auch grundsätzlich von Mann und Frau gesprochen.


Mind the Gap – Die Norm und die Ausnahme


Männlich, 75-85 kg, ca. 1,80 m groß, weiß. Diese Beschreibung gilt seit jeher als der Prototyp für medizinische Forschung. Unkompliziert und einfach lassen sich standardisierte Daten für die Wissenschaft erheben und analysieren, die dann für alle gelten sollen. Da Geschlecht bei Studien entweder gar nicht als relevanter Faktor betrachtet wird oder Geschlechterunterschiede systematisch ausgeschlossen werden, entsteht eine große Lücke an Informationen, der sogenannte Gender Data Gap oder – bezogen auf gesundheitsrelevante Bereiche  – der Gender Health Gap.



Caroline Craido-Perez ist eine britische Journalistin und Autorin und hat ein Buch mit dem Titel „Unsichtbare Frauen“ geschrieben, in dem sie sich dem Gender Data Gap in verschiedenen Lebensbereichen widmet. Unter anderem auch der Medizin. Sie schreibt: „Die Wissenschaft hat in jedem Gewebe und Organsystem des Körpers geschlechterspezifische Unterschiede entdeckt, aber auch in ‚Auftreten, Verlauf und Ausprägung‘ der meisten häufigen menschlichen Erkrankungen“. Dennoch wehren sich viele Wissenschaftler*innen, das Geschlecht als relevante Variable in Studien anzuerkennen. Weibliche (menschliche und tierische) Körper seien zu komplex, zu variabel und zu teuer, um etwa in Medikamententests einbezogen zu werden, wird als Grund dafür genannt.  Geschlecht und Gender in die Forschung aufzunehmen wird als „belastend“ betrachtet. Es gebe dort bereits „zu viel Gender“ und das Thema müsse im Namen der „Vereinfachung“ von solchen Studien ausgeschlossen werden. Die Fakten, die eigentlich beweisen, dass es für die Medizin relevante biologische Unterschiede zwischen Geschlechtern gibt, werden dafür verwendet, dass der Gender Data Gap noch weiter fortgeführt wird.



zur Studienlage


Die hormonellen Unterschiede zwischen Frauen und Männern haben einen sehr starken Einfluss darauf, wie und ob Medikamente bei Frauen überhaupt wirken. Die Entscheidung, Geschlechterunterschiede in der Forschung zu berücksichtigen und noch mehr, diese als relevant anzusehen, ist auch eine Entscheidung über Leben. Dennoch werden in klinischen Studien der Einfachheit halber Frauen, wenn überhaupt,  nur während der follikularen Phase (Zeit zwischen Periode und Eisprung) getestet, da der Hormonhaushalt zu dieser Zeit den Männern am ähnlichsten ist.


Durch die Unterrepräsentation mangelt es am Verständnis darüber, wie der Körper von Frauen auf bestimmte Behandlungen und Medikamente reagiert. Das Resultat daraus, man weiß nicht wie Medikamente bei Schwangeren und stillenden Personen wirken, denn der weibliche Zyklus und damit auch hormonelle Einflüsse auf die Wirkung von Medikamenten werden nicht berücksichtigt.


Generell sind die Zugangsbeschränkungen zu klinischen Studien für Frauen sehr streng. Es gilt grundsätzlich, dass Schwangere und stillende Personen nicht an Studien teilnehmen dürfen, weil zu viel Risiko besteht. Dies ist zurückzuführen auf den Contergan-Skandal in den 50er- und 60er-Jahren. Ein Medikament namens Contergan wurde damals unter anderem gegen Schwangerschaftsübelkeit verabreicht, hatte aber auch – wie erst spät erkannt wurde –  die Schädigung der Wachstumsentwicklung von ungeborenen Föten, Fehlbildungen und Totgeburten zur Folge. Dies ist heute der Grund dafür, dass meist ausschließlich Frauen, die „doppelt“ verhüten (also mit Kondom und Pille), an Studien teilnehmen können. Begründet wird diese Vorgehensweise vom Verband Forschender Arzneimittelhersteller dadurch, dass in der ersten Phase der Medikamentenstudien nicht die Wirkung getestet wird, sondern lediglich, wie sich der Wirkstoff bei gesunden Proband*innen verhält.


Der Ausschluss hormoneller Einflüsse sowie die Voraussetzung der hormonellen Verhütung für den Zugang zu Medikamentenstudien  dienen zusätzlich der Vereinfachung. Die Ergebnisse werden nach Abschluss der Phase I, in der der Frauenanteil bei 10-40 Prozent liegt, weiter auch an Frauen überprüft. In Phase II und III mit Erkrankten sei der Frauenanteil mit 30-80 Prozent beträchtlich höher, vorausgesetzt die Krankheit kommt bei beiden Geschlechtern vor. Dies bedeutet jedoch auch, dass Medikamente erst den Test am Mann bestehen müssen, damit ihre Wirkung auch bei Frauen getestet wird.


Gesundheitliche Belange von Frauen werden von Mediziner*innen oft abgetan oder bagatellisiert. Das liegt zum Teil daran, dass die Symptome von Frauen oft weniger eindeutig sind als die von Männern, und dass die Diagnose und Behandlung von Frauenkrankheiten aufgrund mangelnder Forschung und mangelnder Kenntnisse über die Funktionsweise des weiblichen Körpers schwierig sein kann. So wurden beispielsweise viele Studien zu Herzkrankheiten hauptsächlich an Männern durchgeführt, obwohl Herzkrankheiten die häufigste Todesursache bei Frauen sind. Laut Statistik Austria starben im Jahr 2021 insgesamt 15,47 Prozent Männer an Herzkrankheiten, aber 18,67 Prozent Frauen.



Die genderspezifische Wirkung von Medikamenten


Frauen haben darüber hinaus beispielsweise ein 50 bis 75 Prozent höheres Risiko für unerwünschte Arzneimittelwirkungen als Männer. Dennoch werden viele Medikamente verschrieben, ohne die Unterschiede von Männern und Frauen zu berücksichtigen. Dabei spielen jedoch sowohl der Gewichtsunterschied als auch der unterschiedliche Stoffwechsel von Männern und Frauen eine wichtige Rolle bei der Art der Dosierung. Auch die orale Aufnahme ist durch unterschiedliche körperliche Vorgänge bei Frau und Mann beeinflusst und kann dadurch die Wirkung von Medikamenten beeinträchtigen.



Die weibliche Immunität


Männer und Frauen unterscheiden sich auch in ihren Genen. Frauen haben XX-Chromosomen und Männer XY-Chromosomen. Viele Gene, die für das Immunsystem relevant sind, sitzen generell auf dem X-Chromosom, was bedeutet, dass Frauen potenziell eine größere genetische Vielfalt haben, und damit ihr Immunsystem stärker in der Bekämpfung von Infektionen ist. Ein stärkeres Immunsystem hat jedoch nicht nur Vorteile, sondern führt auch dazu, dass ca. 78 Prozent der Menschen die an Autoimmunerkrankungen leiden Frauen sind. Der Körper stuft die eigenen Zellen dabei als gefährlich ein und fängt an, diese anzugreifen. Grundsätzlich sollte der Körper bereits als Fötus darauf trainiert sein, körpereigene Zellen zu erkennen, was sich jedoch aufgrund der Beschaffenheit der Chromosomen bei Frauen oft nicht so stark entwickelt.


Männer und Frauen unterscheiden sich auch in ihren Genen. Frauen haben XX-Chromosomen und Männer XY-Chromosomen. Viele Gene, die für das Immunsystem relevant sind, sitzen generell auf dem X-Chromosom, was bedeutet, dass Frauen potenziell eine größere genetische Vielfalt haben, und damit ihr Immunsystem stärker in der Bekämpfung von Infektionen ist. Ein stärkeres Immunsystem hat jedoch nicht nur Vorteile, sondern führt auch dazu, dass ca. 78 Prozent der Menschen die an Autoimmunerkrankungen leiden Frauen sind. Der Körper stuft die eigenen Zellen dabei als gefährlich ein und fängt an, diese anzugreifen. Grundsätzlich sollte der Körper bereits als Fötus darauf trainiert sein, körpereigene Zellen zu erkennen, was sich jedoch aufgrund der Beschaffenheit der Chromosomen bei Frauen oft nicht so stark entwickelt.

Ausgehend davon, dass es geschlechterspezifische Unterschiede in der Immunantwort gibt, sollten langfristig auch Impfungen näher betrachtet werden. Denn es ist bereits bekannt, dass bei Frauen die Antikörperantwort stärker ausgeprägt ist als bei Männern und bei Frauen auch Abwehrreaktionen in der Intensität stärker sind und häufiger auftreten. Unterschiedliche Dosierungen bei Frauen und Männern wären eine Lösung, damit Frauen deutlich weniger von Nebenwirkungen betroffen wären.



Bedeutung für die Zukunft


Das Ausschließen von weiblichen Proband*innen in der Forschung und das nicht thematisieren von Geschlechterunterschieden in Lehrbüchern führt dazu, dass gesundheitliche Symptome, Ursachen und Folgen für einen Großteil der Gesellschaft nicht beachtet werden. Eine geschlechtersensible Medizin und Forschung hat das Potenzial, die große Datenlücke zu verkleinern und somit auch die Prävention und Versorgung von Frauen und Männern zu verbessern. Langfristig bedarf es auch einer Einbeziehung von Intersexualität und Transgender und damit nicht nur den Einfluss von ausschließlich zwei Geschlechtern auf Forschung und Medizin, um allen Menschen die adäquate Versorgung gewährleisten zu können.

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